Interview mit einer Aktivistin
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Seit Herbst 2007 protestieren Tierbefreier_innen gegen den Pelzhandel der Escada AG. Am 28. April 2009 lud das Unternehmen Aktionäre und Pressevertreter_innen zur alljährlichen Jahreshauptversammlung ins Münchner Sheraton Hotel. Im vergangenen Jahr kam es während der Veranstaltung zu Aktionen von Pelzgegner_innen und auch dieses Jahr sollten der Unternehmensführung unangenehme Momente nicht erspart bleiben. Der neue Vorstandsvorsitzende Bruno Sälzer sah sich gezwungen seine Rede kurzzeitig zu unterbrechen und musste später Fragen zur Verwendung von Echtfellprodukten über sich ergehen lassen. Mit dabei war auch Friederike*, die auf der Aktionärsversammlung eine Rede über die Escada-Campaign hielt. Für das Magazin Tierbefreiung sprach Konrad Eckstein mit ihr über die Proteste vor Ort, die Reaktionen des Managements und die wirtschaftliche Krise des Luxusmodeunternehmens. Hier eine Vorabveröffentlichung des Artikels:
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Konrad Eckstein: Hallo, Friederike. Jahreshauptversammlung, das klingt erst einmal langweilig, nach endlos langen Reden, spießigen Schlipsträgern und BWL. Wie sieht denn so eine Veranstaltung aus und hat man dort überhaupt die Möglichkeit, das Thema Pelz auf die Tagesordnung zu setzen?
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Friederike: Naja, ehrlich gesagt, ein bisschen langweilig kann so was schon sein. Eine Jahreshauptversammlung ist ja im Wesentlichen dazu da, dass der Vorstand des Unternehmens Rechenschaft gegenüber den Aktionär_innen, in deren Auftrag er ja handeln soll, ablegt. Außerdem werden dort wichtige Entscheidungen in Bezug auf die Unternehmenszukunft mittels vorher bekannt gegebenen Anträgen gefällt.
Da sitzen also vorne auf dem Podium einerseits der Vorstand des Unternehmens und andererseits der Aufsichtsrat. Dieser hat übrigens die Aufgabe, die Arbeit des Vorstandes zu überwachen und vor allem bestimmt der Aufsichtsrat auch, wer im Vorstand ist. Naja, und auf so einer Jahreshauptversammlung (JHV) berichtet dann zuallererst der Vorstand über die Lage des Konzerns und über die Strategien für die Zukunft. Das war in den letzten beiden Jahren jedoch schon gar nicht mehr langweilig, da es immer zu Störaktionen von Pelzgegner_innen wie Zwischenrufen kam oder Transparente und Wurfschnipsel mit Anti-Pelz-Parolen das alles ein wenig aufpeppten.
Außerdem geht es nach dem Bericht des Vorstandes zumindest bei Escada in den letzten Jahren immer ziemlich heiß her, weil es dann die so genannte „Aussprache“ gibt, wo dann die Aktionäre und Aktionärinnen den Vorstand und den Aufsichtsrat mit Fragen zu ihrer Arbeit im letzten Jahr bombardieren, um danach zu entscheiden, ob sie die Mitglieder des Vorstandes entlasten wollen und den Aufsichtsrat wieder wählen. Angesichts der desolaten Situation Escadas war in den letzten Jahren an dieser Stelle eh schon eine aufgeheizte Stimmung. Und da kann man natürlich auch Fragen zum Thema Pelz stellen und den Vorstand und Aufsichtsrat damit konfrontieren. Das ist natürlich ganz und gar nicht langweilig und auf jeden Fall sehens- und erlebenswert!
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K.: Ja, aber wie kommt man da als Normalsterblicher überhaupt rein. Ich stell mir das nicht einfach vor, sich an Polizei und Security vorbeizuschmuggeln.
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F.: Also teilnehmen dürfen an so einer Versammlung natürlich alle Aktionär_innen des Unternehmens, jeweils auch mit einer Begleitperson. Dabei ist es egal, ob man nur eine, 50 oder 100.000 Aktien besitzt. Und da Escada-Aktien mittlerweile für weniger als fünf Euro pro Stück zu haben sind, kann sich ja jede_r Normalsterbliche leisten, sich ne Handvoll davon zu kaufen. Dafür geht man übrigens am Besten zu seiner Bank und oft machen die das dann alles für einen. Wenn man noch keine Erfahrung mit Aktien, Fonds etc. hat und auch nicht die Millionen auf dem Konto und nur so ne komische Menge von z.B. fünf Escada-Aktien und sonst nichts holt, gucken die einen vielleicht schon ein wenig komisch an. Schließlich zielt dieses ganze Börsending ja darauf ab, Profit zu machen und da kann man mit 5 Aktion à 5 Euro recht wenig reißen. Außerdem ist die Bank auch verpflichtet, dich zu beraten und dich somit quasi vor den Risiken, die da an der Börse lauern, zu schützen. Aber dann kann dir das eigentlich niemand verbieten und sobald du Aktien von dem Unternehmen hast, wirst du automatisch zu der Jahreshauptversammlung eingeladen. Dann kannst du entweder selbst hingehen und dein Stimm- und Rederecht wahrnehmen oder jemanden für dich bevollmächtigen, dies zu tun.
Ja, und da man dann ne Einladung hat, muss man sich nirgendwo vorbeischmuggeln, sondern geht einfach rein. Dass überhaupt so viel Polizei bei den Versammlungen vor Ort ist, liegt sicherlich an der Kampagne und den Aktionen der letzten Jahre. Schon peinlich für die ehemalige Nr. 1 am Damenluxusmodehimmel, dass da gleich mehrere Beamte im sonst so chick und glamourös wirkenden Foyer rumhängen und auch im Konferenzraum permanent jemand dabei ist.
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K.: Und wie tritt man dort vor versammelter Mannschaft auf? Nutzt man die Chance und pöbelt die Verantwortlichen voll?
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F.: Das kann man natürlich machen und haben ja wie gesagt auch Leute getan, also durch Rufe und andere Aktionen den Ablauf gestört. Zusätzlich bietet die oben erwähnte „Aussprache“ den idealen Rahmen, die anderen Aktionär_innen über die Kampagne und auch allgemein über das Thema Pelz, die Produktionsbedingungen etc. zu informieren. Das war mein Part, wir haben insgesamt zwei Reden gehalten. Das Schöne ist, dass man da wirklich so richtig vor Vorstand, Aufsichtsrat und allen Aktionär_innen eine Art kurze Rede halten kann und denen also ihre Entscheidungen vorwerfen und dazu dann Fragen stellen kann, die die einem danach auch noch beantworten müssen.
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K.: Ach, die Antworten auch noch selbst, ich dachte die kommunizieren nur über Anwälte. Klingt ja spannend, was haben die denn auf eure Statements geantwortet?
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F.: Ja, in der Praxis sieht das dann natürlich so aus, dass die von den wirklich vielen, vielen Fragen, die da im Laufe der Versammlung auftauchen, doch versuchen einige zu “übergehen”, so auch bei einigen unserer Fragen. Aber zumindest die Frage nach den Anwaltskosten für die Kampagne wurde uns beantwortet: 63.000 Euro gab Escada im letzten Geschäftsjahr aus, um gerichtlich gegen Pelzgegner_innen vorzugehen.
Ansonsten kommen da zum großen Teil auch Ausflüchte und leere Phrasen, das gilt aber für “unsere” Fragen genauso wie für die der anderen kritischen Aktionär_innen: Die Pelze seien artenschutzrechtlich absolut transparent zertifiziert, kämen nur aus Europa, sie hätten eh super wenig Pelz und der würde nur da eingesetzt, wo es “wirtschaftlich unbedingt notwendig” sei. Dabei hatten wir danach gar nicht gefragt, sondern, warum sie immer noch den Tod unzähliger Individuen in Kauf nehmen und ob sie dies reinen Gewissens machen könnten. Aber so was wird da natürlich nicht thematisiert.
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K.: Und wie reagieren die Aktionäre auf diese Konfrontation? Betretenes Schweigen? Nestbeschmutzer-Vorwürfe? Applaus?
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F.: Also, manchen der Anwesenden waren diese Zwischenrufe bei der einführenden Rede des Vorstands richtig unangenehm und sagten so was wie: „Nun seien Sie doch endlich still!” Zu ähnlichen Reaktionen kam es auch, als wir bei der Aussprache die Führung mit dem Thema Pelz konfrontierten, ein Mann beleidigte uns sogar recht heftig, als wir uns wieder setzten. Aber es gab auch positive Reaktionen wie Klatschen und viele Gesichter wirkten während unserer Reden sichtlich interessiert und zum Teil freuten sich die Leute auch und wollten danach noch mit uns diskutieren. Allgemein haben die da speziell momentan bei Escada natürlich ganz klar andere Sorgen, nämlich im Wesentlichen ihr Geld.
Interessanter waren fast noch die Reaktionen der Securities im Umgang mit den „Störern“ zu Beginn der Versammlung, die konnten sichtlich überhaupt nicht mit der Situation umgehen. Erst waren sie ganz zittrig und unsicher und versuchten gegenüber den Störern ganz nett und vorsichtig zu sein und nur die Flugzettel aus der Hand zu nehmen. Tumulte sind schließlich das letzte, was die sich auf so einer Versammlung wünschen. Als die sich aber nicht nett bitten ließen und weiter lautstark gegen den Pelzhandel demonstrieren, wurden sie letztendes aus dem Saal befördert.
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K.: Um was ging es denn noch inhaltlich? In den Presseberichten war von drohender Insolvenz die Rede und von Restrukturierung, Kapitalerhöhung und Abstoßung von Unternehmenssegmenten. Was kann man sich denn darunter vorstellen?
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F.: Escada ist offensichtlich ganz kurz vor dem Ende: Die Kollektionen floppen, die Verluste schießen geradezu in die Höhe und es gibt einen riesigen Kredit- und Schuldenberg. Auf der Versammlung wurde deutlich gesagt, dass es nicht klar sei, ob es das Unternehmen im Sommer noch gäbe. Dafür müssten jetzt alle Akteure beim vom Vorstand ausgeklügelten Rettungsplan mitspielen: Die Aktien werden noch weniger wert sein, die Schulden müssten zu einem wesentlichen Teil erlassen werden, die Banken müssten ihre Kredite verlängern und es muss noch mal jemand einen Haufen Geld in das Unternehmen stecken. Ob das alles klappt, ist ungewiss. Maßnahmen wie der geplante Verkauf der Primera-Gruppe und die Aufgabe des Geschäfts in der berühmten 5thavenue in New York müssen vor diesem Hintergrund gesehen werden.
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K.: Welche Auswirkungen hat das auf die Kampagne gegen Escada?
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Also, den größten Einfluss wird wohl der Verkauf der Primera-Gruppe haben, denn das hieße, dass BiBA und Co. nicht mehr zu dem Unternehmen gehören und zumindest in Deutschland gibt es ja doch zahlreiche Proteste gegen BiBA. Sollten noch mehr Shops geschlossen werden, fallen diese natürlich auch als Angriffspunkte weg, im Gegenzug werden nach Aussagen des Vorstandes mehr Outlets eröffnet. In Outlets werden Waren unter den marktüblichen Preisen verkauft und damit soll dann noch mal eine andere Kundschaft angezogen werden, vor diesen dann aber auch wieder demonstriert werden.
Andererseits eröffnen sich durch die Änderung der Aktionärsstruktur auch neue Möglichkeiten, so lösten die neuen Großaktionäre Wolfgang und Michael Herz den ehemaligen Hauptaktionär Aksenenko in seinem Machtmonopol quasi ab und haben nun in etwa genauso viel zu sagen wie er. Die Hauptaktionäre haben einen großen Einfluss auf das Unternehmen, da sie jeweils ca. 1/4 der Aktien halten und so können sie darauf hingewiesen werden, diesen Einfluss doch im Sinne der Tiere zu nutzen. Gerade die Brüder Herz sind da vielleicht ganz gute Ansprechpartner, gehört ihnen doch das Unternehmen Tchibo, das bereits pelzfrei ist und dies auch in seinen Unternehmensrichtlinien festgeschrieben hat.
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K.: Zu guter Letzt: Würdet ihr eure Aktionen als Erfolg bezeichnen?
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F.: Ein Erfolg im Sinne der Kampagne und vor allem der Tiere kann nur der unbefristete und allumfängliche Ausstieg Escadas aus dem Handel mit Echtpelzprodukten sein. Ich denke aber auch, dass eine Kampagne nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie es schafft, ihre Forderungen ständig und immer wieder auf die Tagesordnung des Adressaten zu setzen. Das ist mit den Aktionen in der JHV sicherlich an diesem Tag gelungen. Dabei darf es aber natürlich nicht bleiben; regelmäßige Demos vor den Läden, Aufzeigen der Verantwortlichen, Informieren und zur Rechenschaft Ziehen selbiger, öffentlichkeitswirksame Aktionen, Presseartikel, all dies ist notwendig, um dem Pelzhandel bei Escada ein Ende zu bereiten. Deshalb ist es vor allem wichtig, dass sich überall auf der Welt so viele Menschen wie möglich aktiv in die Kampagne einbringen und weiterhin Druck auf das Unternehmen ausüben. Sich Aktien zu besorgen, ist da nur eine von unzähligen Möglichkeiten. Nur so können wir gemeinsam Escada pelzfrei machen!
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* Name von der Redaktion geändert
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Weitere Informationen:
Zum Magazin Tierbefreiung: hier
Zur Escada-Campaign: hier
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